Bundesrat setzt Motion «Invaliditätskonforme Tabellenlöhne bei der Berechnung des IV-Grads» ungenügend um
Die vom Bundesrat vorgeschlagene Änderung der IV-Verordnung (IVV) lässt zentrale Forderungen der Motion SGK-N 22.3377 «Invaliditätskonforme Tabellenlöhne bei der Berechnung des IV-Grads» unberücksichtigt. Der Vorschlag führt zwar zu gewissen Verbesserungen, doch viele Menschen mit Behinderungen können weiterhin nicht erwarten, dass bei der Berechnung ihres IV-Grads von realistischen Einkommensmöglichkeiten ausgegangen wird. Agile fordert deshalb in seiner Stellungnahme entsprechende Anpassungen.
Seit Jahren werden die von der Invalidenversicherung (IV) verwendeten Grundlagen zur Berechnung des IV-Grads kritisiert: Wenn eine Person kein Einkommen hat, ermittelt die IV anhand von Medianlöhnen der schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) ein hypothetisches Einkommen. Die LSE umfasst hauptsächlich Löhne von gesunden Personen. Wie eine Studie des Büro BASS zeigt, sind die Medianlöhne von Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und IV-Teilrente um 17% tiefer als diejenigen von voll leistungsfähigen Erwerbstätigen. Hinzu kommt, dass die Medianlöhne der LSE-Tabellen nur nach Kompetenzniveau, Geschlecht, Sektor und teilweise nach Wirtschaftszweig differenziert ausgewiesen werden. Weitere lohnrelevante Kriterien (Dienstjahre, Nationalität, Sprache, Alter, Grossregion etc.) werden nicht berücksichtigt. Wenn das hypothetische Einkommen als zu hoch eingeschätzt wird, resultiert daraus für Menschen mit Behinderungen ein zu tiefer IV-Grad. Dadurch erhalten sie eine entsprechend tiefe oder gar keine IV-Rente. Das kann zur Folge haben, dass sie Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen und/oder auf notwendige Umschulungen verzichten müssen.
Die Forderungen der Motion
Eine in beiden Räten angenommene Motion der SGK-N fordert deshalb, bis Ende 2023 neue Bemessungsgrundlagen zu implementieren, mit welchen mittels statistischer Werte realistische Einkommensmöglichkeiten von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen ermittelt werden können. Dabei müssen der Forschungsstand sowie ein von Riemer-Kafka/Schwegler erarbeiteter Lösungsvorschlag einbezogen werden.
Bundesrat berücksichtigt Lösungsvorschläge nicht
Der vom Bundesrat in die Vernehmlassung geschickte Vorschlag sieht keine Implementierung neuer Bemessungsgrundlagen vor, sondern einen Pauschalabzug von 10% vom Medianlohn sowie bei einem Arbeitspensum von 50% oder weniger einen zusätzlichen Abzug von weiteren 10%. Damit werden die relevanten statistischen Ergebnisse der BASS-Studie, das heisst die Feststellung, dass der Medianlohn von Personen mit IV-Teilrente um 17% tiefer ist, ausser Acht gelassen – ebenso wie die breit diskutierten Lösungsvorschläge, mit welchen differenziertere Kriterien für die Einkommensermittlung eingeführt werden könnten.
Pauschalabzug von 17 Prozent und neue Bemessungsgrundlagen
Ein aus wissenschaftlicher Sicht zu tief angesetzter Pauschalabzug ist für Agile
inakzeptabel. Wie auch Inclusion Handicap fordern wir einen Pauschalabzug von 17%, wobei je nach individueller Situation weitere lohnmindernde Faktoren zu berücksichtigen sind. Agile fordert gleichzeitig, dass die Verordnung nur für eine bestimmte Geltungsdauer eingeführt wird. Während dieser Geltungsdauer sollen, wie in der Motion verlangt, unter Einbezug der Lösungsvorschläge von Riemer-Kafka/Schwegler wie auch derjenigen der Studie BASS, neue Bemessungsgrundlagen erarbeitet werden. Ziel ist es, anhand von differenzierteren Kriterien möglichst realistische Einkommen ermitteln zu können und damit der individuellen Situation von Menschen mit Behinderungen besser gerecht zu werden.
Kontakt
Silvia Raemy, Leiterin Kommunikation / 031 390 39 39 / 079 384 91 84 / silvia.raemy@agile.ch