BSV-Forschungsbericht ohne Überraschungen

Das BSV lässt regelmässig wissenschaftliche Studien durch externe Expertinnen und Experten oder Institute erarbeiten. Der hier vorgestellte Forschungsbericht «Unterstützung beim Wohnen zu Hause: Internationale Modelle» vergleicht die Schweiz mit Belgien, den Niederlanden und Schweden. Zudem kommt die Situation in den Kantonen Bern, St. Gallen, Wallis und Waadt zur Sprache. Anhand einer Literaturrecherche sowie mittels Interviews und zweier Fokusgruppen wird erarbeitet, wie die IV ihre Massnahmen optimieren könnte. Es zeigt sich, dass es bei allen Unterschieden in den analysierten Ländern schwierig ist, das selbstbestimmte Wohnen zu Hause gemäss Artikel 19 UNO-BRK zu ermöglichen und ausreichend zu finanzieren.

Die Forschungsarbeit schliesst mit 10 Empfehlungen zuhanden des Bundes und der Kantone. Diese fallen durch ihre ernüchternde Unverbindlichkeit auf. Beim genauen Lesen finden wir die bekannten Forderungen nach Subjektfinanzierung, nach der Entschädigung der Angehörigen sowie nach einer Finanzierung, die echte Wahlfreiheit ermöglicht. Aber die Frage sei erlaubt: Was ist daran neu? Und vor allem: Warum wird noch immer empfohlen, Menschen mit Behinderungen sollten konsultiert werden? Das ist doch eine Grundvoraussetzung gemäss UNO-BRK!

Die zehn Empfehlungen

  1. Der Bund sollte zusammen mit den Kantonen Leitlinien für einen Aktionsplan zur Unterstützung beim Wohnen zu Hause erarbeiten.
  2. Der Bund sollte die gesetzlichen Grundlagen schaffen, die die Kriterien für die Finanzierung der Unterstützung beim Wohnen zu Hause festlegen.
  3. Der Bund sollte zusammen mit den Kantonen die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten auf den verschiedenen Ebenen klären. Dabei sollte die Verantwortung für die Umsetzung der Unterstützung beim Wohnen zu Hause auf einer einzigen institutionellen Ebene konzentriert sein.
  4. Die zuständigen Stellen sollten ein Modell für eine Subjektfinanzierung in Form eines persönlichen Budgets entwickeln. Dieses Budget könnte sich an das Modell der Hilflosenentschädigung anlehnen und gleichzeitig den Assistenzbeitrag umfassen.
  5. Die zuständigen Stellen sollten Leistungen gewähren, die so bemessen sind, dass sie eine effektive Entscheidung für das Wohnen zu Hause ermöglichen. Dazu müssten Mindestbeträge definiert werden.
  6.  Jede Person, die Unterstützung oder Beratung bei der Erledigung von administrativen Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem Leben zu Hause benötigt, sollte in der Lage sein, schnell eine Ansprechstelle zu finden, an die sie sich wenden kann. So sollten die Kantone, zusammen mit den Organisationen, das Angebot an Begleitung bei administrativen Formalitäten für Menschen mit Behinderungen ausbauen.
  7. Der Bund sollte zusammen mit den Kantonen die Leitlinien für einen Aktionsplan festlegen, um pflegende Angehörige finanziell zu unterstützen und die diesbezüglichen Leistungen zu harmonisieren.
  8. Die Kantone und Gemeinden sollten die erforderlichen Massnahmen ergreifen, um den Zugang zu barrierefreien und erschwinglichen Wohnungen zu gewährleisten. Artikel 7 des BehiG könnte aus diesem Blickwinkel überprüft werden.
  9. Die zuständigen Stellen sollten Menschen mit Behinderungen bei der Erarbeitung von Leitlinien, Gesetzen, Modellen oder sie betreffenden Leistungen konsultieren.
  10. Die zuständigen Stellen sollten die Zufriedenheit der Begünstigten und die Kongruenz zwischen gedecktem und ungedecktem Bedarf evaluieren.

Es wird also deutlich, niemand, die oder der das Thema kennt, wird ernsthaft gegen diese längst überfälligen Empfehlungen sein. Dank des Forschungsberichts sind sie nun immerhin wissenschaftlich abgestützt und schwarz auf weiss vorhanden. Unser Auftrag ist und bleibt, sie aus dem sanften Verwaltungs-Konjunktiv in den harten, behinderungspolitischen Alltag mitzunehmen.

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