Sprache ist verräterisch

Tipps für eine respektvolle Sprache, die Menschen mit Behinderungen nicht diskriminiert und entwertet.

Gesagtes und Gemeintes sind nicht immer identisch. Der/die eine sagt oder schreibt etwas und geht ganz selbstverständlich davon aus, dass der Zuhörer oder die Leserin es auch so versteht, wie es gemeint war. Oft aber ist das, was bei der Empfängerin ankommt, nicht das, was der Absender ausdrücken wollte. Vorstellungen und Assoziationen schwingen mit, die dem Inhalt einen negativen Beigeschmack verleihen. Und wenn in diesem Zusammenhang dann noch das Thema Behinderung mit ins Spiel kommt, wird es heikel.

Menschen mit Behinderungen haben ein Recht und einen Anspruch darauf, genauso respektvoll behandelt zu werden wie Menschen ohne Behinderungen. Dies auch dann, wenn über sie gesprochen oder geschrieben wird. So manches ist Gewohnheit, leicht und schnell dahingesagt. Aber Ableismus drückt sich nicht nur durch Handlungen, sondern auch in der Sprache aus. Noch immer sind Begriffe gebräuchlich, die Menschen mit Behinderungen als diskriminierend und entwertend empfinden.

Dieser Beitrag, ursprünglich als Broschüre publiziert, will die diskriminierungsfreie Sprache und damit die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen fördern. Für eine Kommunikation, die zu weniger Missverständnissen, Enttäuschungen und Verletzungen führt.

Die Broschüre Sprache ist verräterisch «Sprachliche Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen» kann in gedruckter Form auf Deutsch, Französisch und Italienisch bei uns bestellt werden. Einfach Mail an info@agile.ch.

Die innere Haltung

Fragen Sie sich, wie Sie gerne dargestellt oder angesprochen würden, wenn Sie eine Behinderung hätten.

Nehmen Sie Menschen mit Behinderungen ernst, und respektieren Sie sie. Sie sind weder hilfsbedürftig noch hilflos, sondern haben dieselbe Menschenwürde wie Menschen ohne Behinderungen.

Überlegen Sie sich, ob die Behinderung Ihres Gegenübers überhaupt von Bedeutung ist.

Die wichtigsten Begriffe

Out

Invalide*r

In

Mensch mit Behinderungen, falls möglich mit Behinderungsart, z.B. Menschen mit Körperbehinderungen, mit Sehbehinderung etc.

invalid

behindert

Invalidität

Behinderung

Invaliden-WC

WC für Menschen mit Behinderungen

Invalidenparkplatz

Parkplatz für Menschen mit Behinderungen

Begründung

Der Begriff «invalid» und seine Ableitungen müssen aus der Alltagssprache verschwinden. «invalid» bedeutet «unwert», «wertlos», «ungültig», «schwach». Der Begriff aus dem Lateinischen bezeichnete ab dem 18. Jahrhundert Menschen, die einen Krieg mit einer bleibenden Verletzung oder Behinderung überlebt haben. Mit der Verwendung des negativ besetzten Begriffs «invalid» reduzieren Sie eine Person auf ihre Behinderung und machen sie zum Objekt. Die Person selbst wird zur Nebensache.

Out

IV-Fall

In

Versicherte*r, Rentenbeziehende*r,
Leistungsberechtigte*r

Begründung

Der Begriff ist unpersönlich und abwertend. Er besetzt Personen mit Behinderungen negativ. Menschen, die berechtigt sind, eine Leistung der Invalidenversicherung zu beanspruchen, sind keine Objekte. Sie bleiben als Personen Subjekte.

Out

Behinderte*r, Krüppel*in, Mensch mit Handicap, Mensch mit besonderen Bedürfnissen, Andersbegabte*r

In

Mensch mit Behinderungen, falls möglich mit Behinderungsart, z.B. Menschen mit Körperbehinderungen, Sehbehinderungen etc.

Begründung

  • Die Substantivierung «Behinderte*r» reduziert den Menschen auf die Behinderung. Sie vermittelt das Bild einer Spezial- oder Untergruppe innerhalb der Gesellschaft, die sich von Menschen ohne Behinderungen deutlich abgrenzt.
  • Der Ausdruck «Krüppel*in» bezeichnet ursprünglich einen in seiner Bewegungsfähigkeit physiologisch dauerhaft behinderten Menschen. Auch jemand, dem von Geburt an oder durch äussere Einwirkungen Gliedmassen fehlten, wurde als verkrüppelt bezeichnet. Heute gilt Krüppel*in als Schimpfwort, das nicht nur eine körperliche oder kognitive Behinderung feststellt, sondern einem missliebigen Menschen als Beleidigung eine solche Behinderung zuspricht.
  • Im deutschsprachigen Raum wird «Handicap» praktisch synonym mit «Behinderung» gebraucht. Der englische Begriff wird von vielen als beleidigend empfunden, weil er als Bild an cap-in-the-hand, also an Betteln, erinnert. Der tatsächliche Hintergrund von hand-in-cap ist aber ein anderer. Der Begriff geht auf ein altes englisches Spiel zurück, bei dem das eingesetzte Geld in einen Hut oder eine Kappe gelegt wird. Handicap wurde früher in England auch bei Pferderennen verwendet. Ein überlegenes Pferd erhielt vom Schiedsrichter zusätzliches Gewicht (Handicap) aufgelegt, um seinen Vorteil auszugleichen. So gesehen entspricht Handicap einer künstlichen Benachteiligung. Später wandelte sich die Bedeutung von Handicap in eine grundsätzliche Benachteiligung.
    Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den Begriff für die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) aufgegeben und den Begriff «Disability» (jetzt: Behinderung) als Oberbegriff für alle drei Aspekte (Körper, Individuum und Gesellschaft) eingeführt.
  • Die Formulierung «Mensch mit besonderen Bedürfnissen» soll eine positive Bewertung einer Andersartigkeit widerspiegeln – ist aber beliebig und ohne Aussagekraft. Sie trifft auch auf viele andere Gruppen zu: alte, kranke, arbeitslose, drogenabhängige Menschen, Kinder, Menschen mit Migrationshintergrund usw. Genau genommen gilt diese Formulierung für alle Menschen. Alle haben besondere Bedürfnisse. Menschen mit Behinderungen sind kein besonderer Menschenschlag. Ihre Wünsche und Bedürfnisse unterscheiden sich von Person zu Person – wie bei Menschen ohne Behinderungen auch.
  • Andersbegabte*r: Jeder einzelne Mensch hat andere oder unterschiedliche Fähigkeiten oder Begabungen. Auch bei Menschen mit Behinderungen unterscheiden sich Fähigkeiten und Begabungen von Person zu Person – wie bei Menschen ohne Behinderungen auch.

Out

von einer Behinderung betroffen sein, an einer Behinderung leiden, ein schweres Los tragen, ein trauriges Schicksal haben, trotz Behinderung das Leben meistern

In

leben mit Behinderungen, eine Behinderung haben

Begründung

  • Die Formulierung «von einer Behinderung betroffen sein» impliziert Ohnmacht und eine schwierige Situation. Sie definiert den Menschen mit Behinderungen als dem Schicksal ausgeliefert und schliesst Selbstbestimmung aus.
  • Die Begriffe «an einer Behinderung leiden, ein schweres Los tragen, ein trauriges Schicksal haben» implizieren eine schwierige, schmerzvolle Situation und definieren Menschen mit Behinderungen auf einer rein emotionalen Ebene.
  • Trotz Behinderung das Leben meistern: Wer mit einer Behinderung lebt, ist nicht automatisch ein*e Held*in

Out

Mensch mit Beeinträchtigungen

In

Verwenden Sie «Beeinträchtigung», wenn Sie eine spezielle Funktionsbeeinträchtigung beschreiben, z.B. Personen mit visuellen Beeinträchtigungen, mit motorischen Beeinträchtigungen.

Begründung

Eine «Beeinträchtigung» ist eine Funktionseinschränkung aus medizinischer Sicht. Häufig ziehen ältere Menschen den Begriff «Beeinträchtigung» dem Begriff «Behinderung» vor.

Out

behindert ≠ krank

behindert ≠ a(b)normal

In

Begründung

  • Mit Behinderungen zu leben, bedeutet nicht automatisch, krank zu sein. Behinderung ist kein Synonym für Krankheit. Krankheiten sind im guten Falle heilbar, im schlechten Falle tödlich. Behinderung hingegen ist in der Regel etwas Dauerhaftes; sie muss aber auch nicht zwingend ein ständiges Leiden verursachen.
  • Was als «normal» gilt, ist immer relativ. Wo genau das «Normale» anfängt und wo es aufhört, dazu gibt es viele Meinungen. Die Kategorien «normal / a(b)normal» sind deshalb ungeeignet, um Menschen mit und ohne Behinderungen zu beschreiben.

Out

behindertengerecht

In

hindernisfrei

Begründung

Der Begriff «behindertengerecht» verleitet dazu, nur an Massnahmen für Menschen mit Behinderungen zu denken. Er unterschlägt, dass Hindernisfreiheit – wie der niveaugleiche Einstieg in ein Verkehrsmittel – allen zugutekommt.

Out

Taubstumme*r

In

Mensch mit Hörbehinderung, mit Hörbeeinträchtigung, mit auditiver Beeinträchtigung, mit Schwerhörigkeit, mit Gehörlosigkeit

Begründung

Viele gehörlose Menschen können sehr wohl sprechen, aber nicht hören. Sie sind also nicht sprachlos, können aber die Lautsprache nur eingeschränkt nutzen. Häufig kommunizieren sie mit Gebärden- und/oder Lautsprache und mittels modernen Technologien wie Internet, E-Mail, SMS usw. Taub ist dagegen die Beschreibung eines Zustands von Gefühllosigkeit: Finger sind vor Kälte taub. Das Wort «taub» kommt aus dem Mittelhochdeutschen und Althochdeutschen. «toup, toub» bedeutet «stumpfsinnig, verwirrt, empfindungslos, betäubt, doof».

Out

Zeichensprache

In

Gebärdensprache

Begründung

Es gibt Menschen mit Hörbehinderung, die in der Gebärdensprache kommunizieren. Die Gebärdensprache ist viel komplexer als eine simple Zeichensprache. Sie verbindet Gestik, Mimik, lautloses Sprechen und Körperhaltung. Wer gebärdet, spricht eine manuell produzierte und visuell wahrnehmbare Sprache.

Out

Geistesschwache*r, geistig Zurückgebliebene*r, geistig Behinderte*r, Debile*r, Schwachsinnige*r

In

Mensch mit Lernbehinderung, mit intellektueller Behinderung, mit kognitiver Behinderung

Begründung

Diese Ausdrücke sind nicht mehr zeitgemäss. Menschen mit Lernbehinderungen verfügen sehr wohl über Geist.

Out

Mongoloide*r

In

Mensch mit Down-Syndrom, mit Trisomie 21

Begründung

Verwenden Sie für spezifische Behinderungsformen die richtigen Fachbegriffe. Das Down-Syndrom ist benannt nach Dr. John Down. Er hat Ende des 19. Jahrhunderts als erster die Behinderungsform Trisomie 21 aus medizinwissenschaftlicher Perspektive beschrieben. Die Bezeichnung Mongolismus geht auf den Vergleich von Personen mit Trisomie 21 mit den Bewohnern der Mongolei zurück (ähnliche Gesichtszüge) und ist diskriminierend und rassistisch zugleich.

Out

Geisteskranke*r, Irre*r, Schwachsinnige*r, Wahnsinnige*r

In

Mensch mit einer psychischen Erkrankung
Falls möglich, spezifizieren Sie: Mensch mit einer Depression, einer Schizophrenie, einer Angsterkrankung etc.

Begründung

Diese Ausdrücke sind nicht mehr zeitgemäss und wirken beleidigend.

Out

sein Leben in absoluter Dunkelheit verbringen

In

sehbehindert sein, blind sein

Begründung

Visuelle Beeinträchtigungen sind sehr unterschiedlich. Blindheit ist nicht immer gleichzusetzen mit vollständiger Dunkelheit und Schwärze. Fragen Sie die Person mit einer visuellen Beeinträchtigung, wie und was sie wahrnimmt, bevor Sie voreilige Schlüsse ziehen.

Out

an den Rollstuhl gefesselt sein

In

den Rollstuhl benutzen, Rollstuhl fahren

Begründung

Dieses Bild ist falsch. Niemand wird tatsächlich an einen Rollstuhl gefesselt. Das impliziert Assoziationen an Strafe oder Folter und rückt die Schwäche der Person in den Mittelpunkt. Der Rollstuhl ist ein Hilfsmittel, das aktive Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglicht.

Out

in einem gelähmten Körper gefangen sein

In

körperbehindert sein, Rollstuhlfahrer*in sein

Begründung

Diese Redewendung spricht Menschen mit einer Körperbehinderung Selbstbestimmung und Eigeninitiative ab.

Out

Liliputaner*in, Zwerg*in

Riese/Riesin

In

kleinwüchsiger Mensch

grosswüchsiger Mensch

Begründung

Menschen, die unterdurchschnittlich klein oder überdurchschnittlich gross sind, werden leider immer noch als Riesen oder Zwerginnen bezeichnet. Riesinnen und Zwerge gibt es aber nur im Märchen. Und Liliputaner*innen sind Fabelwesen aus der Erzählung «Gullivers Reisen» von Jonathan Swift.

Out

Spastiker*in

In

Mensch mit sensomotorischen Störungen, mit einer Cerebralparese

Begründung

In seiner Kurzform «Spasti» wird dieses Wort im Slang als Schimpfwort gebraucht.

Out

Wasserkopf

In

Mensch mit Hydrocephalus

Begründung

Dieses Wort gehört ebenfalls in die Kategorie Schimpfwörter.

Out

Heiminsasse/-insassin

In

Heimbewohner*in, Mensch, der in einem Heim lebt

Begründung

Dieser Ausdruck ruft das Bild einer Person hervor, die in einer Institution sitzt oder eingesperrt ist.

Out

Patient*in, Klient*in

In

Mensch mit …behinderung

Begründung

  • Der Begriff «Patient*in» widerspiegelt nur die medizinische Sichtweise. Menschen mit Behinderungen sind nur dann Patientinnen und Patienten, wenn sie in medizinischer Behandlung sind. Eine Behinderung macht einen Menschen nicht zwingend zum Dauerpatienten oder zur Dauerpatientin.
  • «Klient*in» ist sehr unpersönlich. Er distanziert und reduziert Menschen mit Behinderungen auf eine rein geschäftsmässige Beziehung und vernachlässigt alles andere.

Out

Pflegefall

In

pflegebedürftige Person, Mensch, der Pflege benötigt

Begründung

Der Begriff ist sehr unpersönlich und abwertend. Die Person wird als «Fall» zum Objekt. Wer Pflege benötigt, will kein Pflegefall sein. Auch wer Pflege benötigt, bleibt Subjekt.

Out

Resozialisierung in die Arbeitswelt

In

berufliche Integration, Vorbereitung auf den
Wiedereinstieg ins Erwerbsleben, auf die Teilnahme am Erwerbsleben

Begründung

Menschen mit Behinderungen, die erstmalig auf das Erwerbsleben vorbereitet werden oder in der Arbeitswelt wieder Fuss fassen, sind keine unerprobten Personen, die erst auf den gesellschaftlichen Umgang vorbereitet werden müssten.

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